Nun mal nach längerer Zeit wieder ein wissenschaftlicher Artikel.
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Es ist schon etwas längerer her, da wurde ich gefragt, wie groß eigentlich die Schwerebeschleunigung auf Höhe der ISS und anderer erdnaher Satelliten ist. Nun kennt man ja viele Filme, die Astronauten in der ISS schwebend zeigen (s. Beispiel oben). Also ist es eigentlich naheliegend zu sagen, die Schwerebeschleunigung sei Null oder zumindest nahe Null. Klingt doch einleuchtend, oder?
Klingt zwar einleuchtend, ist aber nicht richtig! Tatsächlich beträgt die durch die Erde erzeugte Schwerebeschleunigung 350 km über dem Erdboden - das ist so etwa die Bahnhöhe der ISS - noch 90% des Wertes der Schwerebeschleunigung am Erdboden. Erst wirklich weit "oben" ist sie kaum noch zu spüren. Die GPS-Satelliten , die in etwa 20000 km über dem Erdboden ihre Bahnen ziehen, verspüren nur noch rund 6 Prozent der Schwerebeschleunigung. Auf die geostationären Satelliten in 36000 km Höhe wirkt nur noch 2 Prozent und der Mond in rund 384000 km Entfernung von der Erdoberfläche muß sich mit mageren 3 Promille zufrieden geben. Und es ist gut, daß diese Objekte nicht schwerelos sind. Die Schwerebeschleunigung (oder die ihr proportionale Schwerkraft) hält nicht nur uns auf dem Boden, sondern auch Mond und Satelliten gefangen, die andernfalls einfach in den Weltraum entschwinden würden. Aber warum schweben dann bspw. die Astronauten "schwerelos" durch die ISS?
Erst einmal vorweg: "schwerelos" ist in diesem Zusammenhang der falsche - bestenfalls irreführende Begriff. Für das Schweben der Astronauten ist hier eine weitere Kraft verantwortlich, die es in sich hat. Mond, Satelliten, ISS und die sich darin aufhaltenden Astronauten bewegen sich nicht geradlinig-gleichförmig. Unter der Wirkung der Schwerebeschleunigung der Erde (alle weiteren Planeten und Objekte wollen wir mal außer Acht lassen) ändern sie ständig ihre Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit. Der Physiker sagt, daß sich diese Objekte in beschleunigten Bezugssystemen befinden. In solchen Bezugssystemen treten besondere Beschleunigungen (bzw. Kräfte) auf, die man Trägheits- oder Scheinbeschleunigungen nennt. Das besondere an denen ist, daß sie nur in diesen beschleunigten Bezugssystemen erfahrbar ist. Von außen aus einem Intertialsystem beobachtet, sind sie nicht "erkennbar".
Mond, Satelliten und ISS bewegen sich auf mehr oder weniger exakten Kreisbahnen um die Erde, und die Scheinbeschleunigung ist die Zentrifugalbeschleunigung. Praktischerweise ist diese der auf den jeweiligen Körper wirkenden Schwerbeschleunigung entgegengerichtet und gleich groß, was erst dazu führt, daß sich die Objekte auf geschlossenen Bahnen um die Erde bewegen. Der Astronaut in der ISS erfährt beide Kräfte, die in jedem Moment entgegengesetzt und gleich groß sind und sich daher gegenseitg aufheben. Wirkt keine weitere Kraft, fühlt sich der Astronaut "schwerelos". Von außen aus einem Inertialsystem betrachtet, ist keine Zentrifugalkraft feststellbar. Für einen Beobachter in diesem Bezugssystem wirkt einzig die Schwerebeschleunigung. Für ihn hat es den Eindruck, als würde die ISS samt Astronauten permanent um die Erde fallen. Dieser Beobachter würde also vermutlich nicht behaupten, die Astronauten seien schwerelos.
Diese Überlegungen fand ich ziemlich spannend. Und dafür bedarf es keinesfalls eines Physikstudiums! Das ist alles Stoff, wie er auch in der Sekundärstufe gelehrt wird. So eine Frage/Aufgabe könnte man also prima Schülern stellen.